Geschichte
1679 gilt als Gründungsjahr des Botanischen Gartens Berlin. In diesem Jahr ließ Friedrich Wilhelm I., Kurfürst von Brandenburg (Großer Kurfürst) im damals an der Straße nach Potsdam gelegenen Dorf und heutigen Berliner Stadtteil Schöneberg einen Nutzpflanzengarten anlegen, aus dem später der Botanische Garten hervorging. Um 1819 wurde dieser durch das Herbarium ergänzt, dessen Grundstock das persönliche Herbar von Carl Ludwig Willdenow bildete. 1879 wurde für die inzwischen stark gewachsenen Sammlungen das Botanische Museum an der Grunewaldstraße errichtet. Aufgrund des gestiegenen Platzbedarfs der Lebend- wie der Museumssammlungen erfolgte unter dem Direktor Adolf Engler im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts die Verlegung nach Dahlem, das sich damals noch außerhalb des Berliner Stadtgebiets befand.
Nach mehrjährigen Verhandlungen zwischen dem Auswärtigen Amt des Deutschen Reichs, dem Preußischen Kultusministerium und der Leitung des Botanischen Gartens und Botanischen Museums, wurde 1891 die "Botanische Zentralstelle für die deutschen Kolonien" gegründet. Die Zentralstelle hatte drei Aufgabenbereiche:
- Beschaffung von geeigneten Arten tropischer Nutzpflanzen und Versand von Samen wie Lebendpflanzen hauptsächlich an die Versuchsgärten in den deutschen Kolonien, um den Aufbau einer exportorientierten Plantagenwirtschaft zu unterstützen
- Erforschung der pflanzlichen Vielfalt in den Kolonien mit dem Schwerpunkt auf Nutzpflanzen
- Anleitung von Sammlern, Kaufleuten, Kolonialbeamten, Missionaren, Plantagenbesitzern (damals fast ausnahmslos Männer) und anderen Personen, die sich kurz- oder längerfristig in den Kolonien aufhielten, um sie in die Lage zu versetzen, zu den Sammlungen des Botanischen Gartens und Botanischen Museums durch eigene Sammeltätigkeit beizutragen; Ausbildung von Gärtnern für den Kolonialdienst; Beratung von Behörden, Unternehmen, Missionsstationen u. ä., Vermittlung von Wissen über tropische Pflanzen (insbesondere Nutzpflanzen), deren Existenzbedingungen und Produkte an ein breites Publikum (z. B. über Ausstellungen)
Die "Botanische Zentralstelle für die deutschen Kolonien" wurde in der Folge des Ersten Weltkriegs und des Versailler Vertrags 1920 geschlossen. Während der nationalsozialistischen Diktatur nahm sie ihre Arbeit von 1939 bis 1943 noch einmal auf.
Bearbeitung kolonialer Kontexte in dieser Institution
Aktivitäten und Bedeutung der „Botanischen Zentralstelle für die deutschen Kolonien“ wurden von Katja Kaiser im Rahmen eines Promotionsprojekts aufgearbeitet:
- Katja Kaiser: Wirtschaft, Wissenschaft und Weltgeltung. Die Botanische Zentralstelle für die deutschen Kolonien am Botanischen Garten und Museum Berlin (1891–1920). Berlin: Verlag Peter Lang, 2019.
- Rahemipour, Patricia (Hgin.): Bipindi – Berlin. Ein wissenschaftshistorischer und künstlerischer Beitrag zur Kolonialgeschichte des Sammelns (mit Text von Katja Kaiser und fotografischer Perspektive von Yana Wernicke und Jonas Feige), KOSMOS Berlin – Forschungsperspektive Sammlungen, Band 1, Berlin 2018, ISBN 978-3-946292-29-6.
- Katja Kaiser: Georg Zenker: Bipindi – Berlin Ein wissenschaftshistorischer Beitrag zur Sammelpraxis und Sammlungspolitik im deutschen Kolonialreich. A Contribution to the History of Science on the Practice and Politics of Collecting in the German Colonial Empire. Une contribution à l’histoire des sciences sur la pratique et la politique de collecte dans l’empire colonial allemande. Für die Staatlichen Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz herausgegeben von Patricia Rahemipour und Kathrin Grotz. Köln 2023 (Berliner Schriften zur Museumsforschung, vol. 39). [1]
Seit Juni 2022 setzt sich eine Arbeitsgruppe am Botanischen Garten Berlin mit kolonialen Kontexten der Einrichtung, ihrer Sammlungen und ihrer Forschung auseinander, insbesondere mit deren Thematisierung in den Ausstellungsbereichen des Gartens und Museums.
Koloniale Kontexte der Einrichtung wurden im Rahmen der internationalen Austauschplattform The MuseumsLab (2022) und in der Werkstattreihe »Dekolonisierung von Museen“ der Dekoloniale – Erinnerungskultur in der Stadt (2023) diskutiert.
Am Positionspapier des Verbandes Botanischer Gärten "Botanische Gärten, Pflanzensammlungen und Kolonialismus" haben Vertreter*innen des Botanischen Gartens Berlin miterarbeitet (Abrufbar unter: https://www.verband-botanischer-gaerten.de/userfiles/documents/Nachrichten_des_Verbandes/Kolonialismus_und_Botanische_Gaerten_-_Positionspapier_VBG_2023.pdf).
Sammlungen des Botanischen Gartens Berlin
- Herbarium einschließlich Sondersammlungen (Frucht- und Samensammlung, Holzsammlung, Harzsammlung, etc.) (B)
- Lebendsammlung
- Dahlemer Saatgutbank
- DNA-Bank
- Wissenschaftshistorische Sammlung
- Bibliothek
- Sammlung des Botanischen Museums Berlin
Aufgrund eines Bombentreffers verbrannten 1943 große Teile des Herbariums, der Bibliothek, der Wissenschaftshistorischen Sammlung sowie der Sammlung des damals sogenannten Schaumuseums. Das Herbar als größter Sammlungsteil umfasst heute wieder ca. 4 Mio. Objekte. Eine geographische und zeitliche Bestandaufnahme wird erst mit der vollständigen Digitalisierung möglich sein.
Da die biologischen Sammlungen des Botanischen Gartens Berlin die natürliche pflanzliche Biodiversität (im Unterschied zu der von Nutzpflanzen) dokumentieren, sind sie in der Regel direkt der Natur entnommen und wurden erst durch die anschließende wissenschaftliche Bearbeitung (Dokumentation, Präparation, Identifikation) zu naturhistorischen Objekten. Ihre kolonialen Kontexte stellen sich deshalb anders dar als im Sammlungskontext von Kulturpflanzen und Nutztieren, oder von Kulturobjekten im engeren Sinne, die auch Ethnobotanika einschließen.
Die Überwindung kolonialer Kontinuitäten hinsichtlich biologischer Sammlungen zielt deshalb primär darauf, diese Sammlungen und darauf basierende Forschungsdaten weltweit digital frei zugänglich zu machen und im Rahmen von internationalen Kooperationsprojekten Datenzugang und Datenvernetzung zu fördern.
Beispiele von Sammlungen mit kolonialem Kontext:
- Karl Philipp Johann Georg Braun (Tansania) à Museen Stade, https://www.museen-stade.de/schwedenspeicher/service/forschung/sammlung-karl-braun
- Kurt Dinter (Namibia)
- Gustav Hermann Nachtigal (Algerien, Tunesien, Kamerun, Togo)
- Gustav Albert Peter (Tansania)
- Paul Rudolph Preus (Kamerun)
- Georg Schweinfurth (Ägypten, Sudan, Eritrea, Äthiopien, Jemen)
- Franz Stuhlmann (Tansania, Indonesia)
- Lothar von Trotha (Tansania)
- Georg August Zenker (Kamerun) à Ethnologisches Museum Berlin und Museum für Naturkunde Berlin
Beispiele für (Teil)Nachlässe:
Historische Verbindungen zu Institutionen in ehemaligen deutschen Kolonialgebieten
Die Botanische Zentralstelle für die deutschen Kolonien war von 1891 bis 1920 und 1941 bis 1943 am Botanischen Garten Berlin (zunächst in Schöneberg, später in Dahlem) angesiedelt. In Übersee existierten zur Zeit der deutschen Kolonialherrschaft, das Biologisch-Landwirtschaftliche Institut Amani (damals Deutsch-Ostafrika), die Versuchsanstalt für Landeskultur in Victoria (Kamerun) und Versuchsgärten in Misahöhe und Sokodé (damals Togoland) sowie in Rabaul (damals Deutsch-Neuguinea).
Biologisch-Landwirtschaftliches Institut Amani, Tansania
Das Institut besteht bis heute und kooperiert u.a. eng mit der Landwirtschaftsuniversität in Morogoro, der Sokoine University of Agriculture, zusammen.
Ausstellung Amani. Auf den Spuren einer kolonialen Forschungsstation: MARKK Hamburg, 20.09.2019—26.04.2020. National Institute for Medical Research Tanzania, National Museums of Tanzania, Körber-Stiftung, Goethe-Institute Kenia und Tansania, Freunde des Museums am Rothenbaum MARKK e.V., University of Oslo, Department of Social Anthropology und University of Amsterdam, Centre for Social Science and Global Health und Economic and Social Research Council.
1905/06 arbeitete in Amani Robert Koch, deshalb Verknüpfung zu Robert-Koch-Museum bzw. Robert-Koch-Nachlass im Universitätsarchiv der HU.
Links zu Archivakten im Bundesarchiv:
Museen Stade:
- https://www.museen-stade.de/schwedenspeicher/service/forschung/sammlung-karl-braun
Publikationen zu Amani:
- Tropical Biology Association: Amani Nature Reserve. An Introduction. Field Guides, 2007.
- Hartmut Pürschel-Trostberg: The Agricultural Advance of Amani-Institute during German Colonial Time. National Archives of Tansania, Dar es Salaam 2001.
- Bernhard Zepernick: Zwischen Wirtschaft und Wissenschaft – die deutsche Schutzgebiets-Botanik. In: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte. 13, 1990: S. 207–217.
Versuchsanstalt für Landeskultur, Limbe (damals: Victoria), Kamerun. Heute: Jardin Botanique de Limbé [2]
Direktor: Mtemchomg Djomo Serges
Kurator: Chris Forminyam
Plant Records Officer: Stella Asaha
Kontakt: lbgmcp@camnet.cm
Archivakte: Versuchsanstalt für Landeskultur, Victoria. Einrichtung und Tätigkeit,1889-1914, Bundesarchiv, R 175-I/777.
Versuchsgärten in Misahöhe und Sokodé (Togo)
Kooperation in den 1960-70er Jahren, geleitet von Paul Hiepko.
Publikation: Brunel, J. F. Hiepko Paul, Scholz H. Flore analytique du Togo : phanerogames. Berlin: Botanischer Garten und Botanisches Museum Berlin-Dahlem, 1984.
Versuchsgärten in Rabaul (Deutsch-Neuguinea). Heute Lae Botanic Gardens
Kontakt: mlovave@fri.pngfa.gov.pg
Publikation: Katja Kaiser: "Exploration and exploitation: German colonial botany at the Botanic Garden and Botanical Museum Berlin.." In: Dominik Geppert und Frank Lorenz Müller (Hg.), Sites of imperial memory. Commemorating colonial rule in the nineteenth and twentieth centuries (= Studies in Imperialism), Manchester University Press, 2015: S. 225-242.
Internationale Partnerinstitutionen
Der afrikanische Kontinent steht nicht zentral im Fokus der internationalen Kooperationen des Botanischen Gartens Berlin. Hier eine kurze Übersicht abgeschlossener und aktueller internationaler Kooperationen:
- Armenien: Institute of Botany / Armenian National Academy of Sciences & Yerevan State University, Jerewan.
- Aserbaidschan: Institute of Botany / Central Botanical Garden /Azerbaijan National Academy of Sciences, Baku.
- Äthiopien: The National Herbarium of Ethiopia / Addis Abeba University, Addis Abeba. Siehe z.B. die Ausstellung „Kaffeewälder“
- Bolivien: Herbario Nacional de Bolivia & Museo Nacional de Historia Natural, La Paz.
- Costa Rica: Museo Nacional de Costa Rica, San José.
- Dominikanische Republik: Jardín Botánico Nacional Dr. Rafael Maria Moscoso, Santo Domingo.
- El Salvador: Asociación Jardín Botánico La Laguna, Antiguo Cuscatlán.
- Georgien: Tbilisi Botanical Garden & Ilia Chavchavadze State University, Tiflis; Batumi Botanical Garden, Batumi.
- Guyana: Faculty of Natural Sciences, University of Guyana, Flora of the Guianas.
- Kolumbien: Jardín Botánico Jose Celestino Mutis, Bogotá, Instituto de Investigación de Recursos Biológicos AvH, Bogotá.
- Kuba: Jardín Botánico Nacional de Cuba, Havanna, Flora de Cuba.
- Republik Korea: Korea National Arboretum, Pocheon; Planning Office of the National Ecological Institute and the National Institute of Biological Resources of the Ministry of Environment, Gwacheon-si.
- Mexiko: Universidad Nacional Autónoma de México, Instituto de Biología (IBUNAM), Mexiko City.
- Surinam: Anton de Kom University of Suriname, Flora of the Guianas.
- Türkei: Nezahat Gökyiğit Botanik Bahçesi, Istanbul.
- Vietnam: Vietnam National Museum of Nature (VNMN), Hanoi, Institute of Ecology and Biological Resources (IEBR), Hanoi, Southern Institute of Ecology (SIE), Ho Chi Minh Stadt, Institute of Tropical Biology (ITB), Ho Chi Minh Stadt.
[1] Das Werk ist als Open-Access-Publikation im Sinne der Creative-Commons-Lizenz BY-NC-SA International 4.0 („Namensnennung – Nicht kommerziell – Keine Bearbeitung“) unter dem DOI https://doi.org/10.7788/978412527778 abzurufen. Um eine Kopie dieser Lizenz zu sehen, besuchen Sie https://creativecommons.org/licenses/CC BY-NC-SA 4.0f.
[2] https://www.bgbm.org/de/node/1150